Stimmen aus dem Projekt

„Das Mentorenprojekt hat eine der Türen geöffnet, an denen man jeden Tag vorbeigeht und sich fragt, wer dahinter wohl lebt – und wie.“
Kerstin, Mentorin

„Ich habe bisher in meinem Leben viel Glück gehabt, mich haben viele Menschen begleitet. Mit einer jungen Frau zu arbeiten, fand ich eine gute Bereicherung und eine super Gelegenheit etwas zurückzugeben. Manchmal versuche ich mit Coachingtechniken zu helfen und manchmal bin ich einfach nur eine ältere Gesprächspartnerin. Und die meiste Zeit ist es einfach nur schön, gemeinsame Zeit zu verbringen. In diesem Sinne bin ich auch längst nicht nur die Gebende, sondern nehme auch ganz viel mit.“
Gisela Enders, Mentorin

„Ich brauche eine Mentorin, weil ich dankbar bin, dass es so etwas gibt, denn ohne sie hätte ich keine Ahnung vom Berufsleben. Ich brauche ihre Hilfe.“
Mirsada Omerovic, Mentee

Mentoring-Tandems stellen sich vor

Ein perfektes Match

Ranya (18 J.) und Fabienne (31J.) wurden 2014 ein Mentoringpaar. Beide leben schon lange in Neukölln, auch wenn keine von ihnen dort geboren ist. Fabienne kam 2009 aus der Südpfalz zum Studium nach Berlin. Ranyas Familie musste vor 13 Jahren aufgrund ihres jesidischen Glaubens aus Syrien fliehen.

Ursula Rettinger (Projektleiterin bis 2020) hat die beiden gematcht: „Bei Fabienne und Ranya hat einfach alles gepasst: Sie sind beide sehr zielstrebig und offen und besitzen den gleichen Humor. Als ich sie zusammengeführt habe, war es Liebe auf den ersten Blick.“

Im Mentorenprojekt bilden Vertrauen und der zwischenmenschliche Kontakt auf Augenhöhe die Grundlage der Partnerschaften zwischen MentorinMentor und Mentee.

Für Fabienne war dies einer der Gründe, warum sie sich für das Projekt der Bürgerstiftung Neukölln entschied. Als Erziehungswissenschaftlerin arbeitet sie an einer Schule täglich mit Schülern zusammen. Sie suchte einen Rahmen, in dem sie sich in ihrer Freizeit für Jugendliche in ihrem Kiez engagieren kann. An der Bürgerstiftung schätzt sie außerdem, „dass sie bodenständig und offen ist und die Menschen so annimmt, wie sie sind.“

Auch Ranya war sofort begeistert, als sich das Mentorenprojekt in ihrer Klasse vorstellte. Ranya, die sich selbst als sehr ehrgeizig bezeichnet, wollte für einen möglichst guten MSA-Abschluss jede sich bietende Hilfe nutzen.

„Ohne Fabienne hätte ich es nicht geschafft, die Zulassung zur Oberstufe zu erreichen. Sie hat mir den Rücken gestärkt und Selbstvertrauen gegeben. Meine Freunde allein hätten mich nicht so unterstützen können.“ sagt Ranya. Sie geht nun in die 11. Klasse und möchte unbedingt Abitur machen, um Jura studieren zu können. Wo sie sich in 10 Jahren sieht? „Als Juristin in Berlin!“ Denn Berlin und insbesondere Neukölln ist für Ranya ihre neue Heimat geworden, auch wenn ein Teil ihres Herzens immer Syrien gehören wird.

Ebenso gut kann sie sich vorstellen, später selber einmal Mentorin zu werden. Aus ihrer Erfahrung weiß sie, dass ein Mentoring viel mehr bedeutet als nur Lernhilfe. Fabienne und Ranya sind mit der Zeit gute Freundinnen geworden, die zusammen lachen, sich ihre Sorgen erzählen und kleine Geheimnisse teilen, die sie sonst niemandem anvertrauen würden. Das Mentorenprojekt hat beider Leben nachhaltig bereichert und ihren Horizont erweitert, darin sind sie sich einig.

Zusammen schaffen wir das!

Hakeem und Eugen lernten sich im Januar 2015 im Rahmen des Neuköllner Mentorenprojekts kennen. Beide waren zu diesem Zeitpunkt unzufrieden mit bestimmten Aspekten ihres Lebens.

Eugen zog es vor drei Jahren nach Neukölln. Die „wilde Mischung“ gefiel ihm. Doch trotz gutem Job und lebendigem Umfeld verspürte er eine innere Unruhe: „Ich wollte gern etwas mit Jugendlichen im Kiez machen. Ich dachte, ich wäre vielleicht zufriedener mit mir selbst, wenn ich etwas Gemeinnütziges tue. “

Eugen schaute sich um und fand das Mentorenprojekt der Bürgerstiftung Neukölln. Bildung ist für ihn schon lange ein präsentes Thema. Er hat das Gefühl, dass das System an vielen Punkten versagt. Das Konzept des Mentorenprojekts sprach ihn an, ebenso, dass es für die Teilnahme am Projekt kaum bürokratische Hürden gibt.

Hakeem ging zu dieser Zeit in die 9. Klasse der Kepler-Schule. Der MSA war in greifbare Nähe gerückt. Ihm war klar, dass ein Mentor ihm eine gute Unterstützung bei den Prüfungen sein würde, denn die Schule fiel ihm schwer.

Zuerst waren seine Eltern skeptisch. Aber Hakeem erklärte ihnen den Sinn und Zweck eines Mentorings und ist heute froh, dass er sich durchgesetzt hat: „Wir haben Sachen wie Bewerbungen gemacht, von denen ich dachte, dass ich die nie kann.“ Man merkt, dass er mit Eugen an seiner Seite Selbstvertrauen in seine Fähigkeiten gewonnen hat.

Eugens unterstützte ihn auch intensiv bei seinen Vorbereitungen für die MSA-Prüfungen. Die Arbeit hat sich gelohnt. Die Prüfungskommission in der Schule war begeistert von seiner Präsentation über „Anonymous“ und gab ihm eine gute Note. Hakeem scheint selbst noch ein wenig erstaunt, als er davon erzählt.

Was nimmt Eugen aus einem Jahr Mentoring mit? Seine Unruhe habe sich gelegt, sagt er. Durch das Mentoring habe er das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.

Dass die beiden mittlerweile außerdem gute Freunde geworden sind, merkt man, wenn sie miteinander darüber scherzen, dass sie bei ihren Treffen nicht über dem Quatschen das Lernen vergessen.

Doch erst einmal haben sie noch viel vor. Im Moment sind sie auf der Suche nach einem passenden Praktikumsplatz für Hakeem. Eines ist Hakeem besonders wichtig an seinem späteren Beruf: „Ich möchte jeden Morgen aufstehen und gern zur Arbeit gehen können.“

„Es fehlt manchmal eine Hand, die einem gereicht wird.“

„Wir sind die Besten!“, sagt Recep gleich am Anfang des Treffens. Das ist kein Scherz, er meint es ernst. Sein Mentor Lorenzo nickt zustimmend und lächelt entspannt. Dass die Chemie zwischen den beiden stimmt, merkt man sofort.

Überhaupt ist Lorenzo das ganze Interview über tiefenentspannt. So auch bei der Frage, was ihn motiviert hat Mentor zu werden. Das war für ihn ein ganz natürlicher Schritt: „Ich bin selber Aufsteigerkind. Der erste in der Familie, der studiert hat. Als ich nach Berlin kam, wollte ich meine Erfahrungen weitergeben und habe gezielt nach Mentorings gegoogelt. Es gibt so viele qualifizierte junge Leute, die nicht genug kulturelles Kapital haben, um Zugang zu unserem Bildungssystem zu erhalten. Vieles ist umso schwerer, wenn es niemanden zu Hause gibt, der dir das vorlebt oder dich unterstützen kann.“ Wichtig finde er, als Mentor*in nicht mit (zu) konkreten Vorstellung an das Mentoring ranzugehen: „Mentees sind keine Projektionsfläche, alle sind individuell.“

Ebenso wie Lorenzo, hat sich auch Recep freiwillig für das Mentoring entschieden, wenn auch am Anfang etwas zögerlich. Sein Hauptziel war es, selbstbewusster in der Schule sein Wissen und Vorträge präsentieren zu können. Denn er war schüchtern und seine Deutschlehrerin entmutigte ihn zusätzlich: Sie glaubte nicht, dass er überhaupt den Schulabschluss schafft.
„Lorenzo ist wie ein Bruder und Vorbild für mich. Er hat mir auf jeden Fall weitergeholfen. Ich bin offener geworden und auch selbstbewusster in Prüfungen und bei Präsentationen.“ Gemeinsam lasen sie „Momo“ und jede Woche präsentierte Recep vor seinem Mentor ein Kapitel daraus. Zusätzlich lernten sie gemeinsam für die anstehenden Prüfungen. Zu seinem eigenen Erstaunen kam er ausgerechnet im Fach Deutsch auf eine Zwei. Mit dem Schülertheater feierte er einen wunderbaren Bühnenerfolg – als Romeo.
Recep sagt: „Wenn du willst, kannst du das wirklich. Viele Sachen wären nicht so schwer gewesen, wenn ich jemanden gehabt hätte, der mir sie gut erklären kann. Hätte jeder so etwas wie Lorenzo und ich, wäre es für jeden Schüler einfacher. Es fehlt manchmal eine Hand, die einem gereicht wird.“

Auch Lorenzo, der an der Uni in Frankfurt (Oder) arbeitet, hat viel aus seinen Erfahrungen mit Recep mitgenommen: „Für mich als Lehrenden habe ich daraus gezogen, den Stoff zugänglicher zu gestalten.“ Doch ihr Mentoring ist für Recep und Lorenzo viel mehr als bloße Schulhilfe oder berufliche Weiterentwicklung: Freundschaft, Verbundenheit, Familie und Kultur – ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Wenn sie da so sitzen und gemeinsam erzählen, sieht man ihnen an, dass sie Freunde fürs Leben geworden sind.

Mentor*innen stellen sich vor

2 Frauen schauen in die Kamera
Mentorin Svenja (rechts im Bild) mit Ursula Rettinger

Ein Mentoring voller Überraschungen – Unsere Mentorin Svenja im Gespräch (2016)

Jedes Mentoring entwickelt sich einzigartig, oft geschehen unvorhersehbare Dinge. Doch unsere Mentorin Svenja und ihr Mentee wurden von einem Ereignis überrascht, nach dem nichts mehr so war wie zuvor.

Warum ein Mentoring?

Wenn Svenja von ihrem Mentoring erzählt, leuchten ihre Augen. Mit einem Lächeln im Gesicht erzählt sie, wie sie durch eine Bekannte vom Projekt erfahren hat. Bald darauf wurde sie Mentorin. Svenja weiß, dass es ein Privileg ist, sich mit Sorgen, Nöten und Fragen an kompetente Menschen im Umfeld wenden zu können. Sie erzählt, dass sie immer Menschen hatte, auf die sie sich verlassen konnte. Dass sie nie alleine dastand.

Warum sie sich gerade für das Mentorenprojekt entschieden hat? „Eigentlich habe ich es schon immer spannend gefunden, etwas mit jungen Menschen zu machen, ein Vorbild zu geben und trotzdem noch auf einer Wellenlänge zu sein. So wie bei dem 1:1 Ansatz im Mentorenprojekt – einen richtigen Draht zueinander entwickeln und sich richtig kennenlernen.“

Und dennoch, einen Draht zueinander zu finden war nicht leicht. Am Anfang musste Svenja ihrem Mentee alles aus der Nase ziehen, berichtet sie lachend. Sie seien sich fremd gewesen, aber irgendwann sei der Knoten geplatzt. Nach zweieinhalb Jahren spricht Svenja von ihrem Mentee als ihrer Freundin.

Ein neuer Blickwinkel

Ein weiterer Anreiz war für sie, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die sie sonst nie kennengelernt hätte. Auch dann nicht, wenn sie in ihrem unmittelbaren Umfeld leben. Es sei schon ein kleiner Schock gewesen, zu sehen, in was für einer kleinen 3-Zimmerwohnung ihr Mentee mit ihrer Familie zu acht lebte.

„Ich habe aber auch gelernt, dass in ihrer Kultur die Familie das Allerwichtigste ist, dass es für sie nicht schlimm war, ihr Zimmer teilen zu müssen. Es ist wirklich anders als mein Hintergrund. Auch Themen wie Kinderkriegen…“ Ihr Mentee habe ihr erzählt, dass sie erst spät Kinder bekommen möchte, so mit 23 Jahren. Für Svenja ein weiterer Anlass zu lächeln.
Sie findet es interessant zu sehen und zu erfahren, wie anders das Leben bei ihren Nachbarn sein kann. „Wenn ich mir in Neukölln die Häuser angucke und mich frage, wer eigentlich darin wohnt, merke ich, dass da Welten zwischen uns liegen können. Das hat mir noch mal die Augen geöffnet. Es ist ja klar, dass es so ist, aber es wirklich zu erfahren und zu verstehen: das ist meine Nachbarschaft, ist etwas anderes. Jemanden aus meiner Nachbarschaft kennenzulernen, fand ich wirklich sehr schön. Nicht nur von anderen zu hören und Vorurteile zu pflegen, sondern mit dabei zu sein.“
Eines der Vorurteile bestand darin, dass es unmöglich ist, dass acht Leute auf so engem Raum zusammen wohnen. „Was ist denn da drinnen, ein Matratzenlager?“, habe sie zuerst gedacht. „Aber das hat sich widerlegt, die machen das ganz praktisch und bekommen es hin, die Wohnung tipptopp sauber zu halten. Da lag nie ein Staubkörnchen rum.“
Dass Muslime es besonders streng mit ihrer Glaubensausführung halten, sei ein weiteres Vorurteil gewesen. In der Familie ihres Mentees sei es sehr viel lockerer gewesen, als sie angenommen hatte. Natürlich gebe es Regeln, mit denen aber jeder ganz unterschiedlich umgehe.

Unerwartete Entwicklungen

In ihrem Mentoring lief zunächst alles wunderbar. Ihr Mentee fand nach dem erfolgreichen Schulabschluss eine Ausbildungsstelle als Zahnarzthelferin und hatte eine Probearbeit absolviert. „Wir hatten alles zusammen gepackt und waren sehr glücklich, dass ein Traum in Erfüllung geht.“ Dann kam die unerwartete Nachricht der Abschiebung ins Haus. Svenjas Gesicht spiegelt diese schmerzvolle Erfahrung wieder, als sie davon erzählt.
Trotz der Bereitschaft der Zahnarztpraxis ein halbes Jahr auf sie zu warten und den Bemühungen seitens des Mentorenprojekts, gelang es nicht, Svenjas Mentee vor der Abschiebung zu bewahren. Doch gemeinsam mit der Projektleiterin des Mentorenprojekts, Ursula Rettinger, gibt sie die Hoffnung nicht auf, dass das Mentee zurückkommen darf. Im Moment ist nicht klar, ob und wann es möglich sein wird.
Nur in einem ist sie sich sicher: Sie werden weiter Kontakt halten.