N+Mentorenprojekt: Lernen, wie man selbst etwas aus dem Leben machen kann

N+Mentoren begleiten im dritten Jahr Schülerinnen und Schüler der Kepler-Oberschule. 20 Ehrenamtliche sind derzeit im Einsatz. Was bringt die Unterstützung den Mentees und was bedeutet ihnen die Begleitung durch Erwachsende in dieser entscheidenden Phase ihrer Schulzeit? Dr. Kurt Anschütz hat mit drei Schülerinnen der Kepler-Oberschule und mit deren Lehrerin Martina Liebchen gesprochen.

Hier sein Bericht:

„Die Uhr läuft jetzt …“, sagt Meryem. Sie besucht die 10. Klasse der Kepler-Schule. Sie hat sich in den vergangenen Monaten besonnen. Und nun will sie einen ordentlichen Erweiterten Hauptabschluss schaffen. Dabei wird sie von einer N+Mentorin unterstützt. Und diese schaut auch schon über die Schule hinaus: „Wir treffen uns am Wochenende in einem Café, die Mentorin hat den Laptop dabei, wir essen, trinken und gucken im Internet nach Ausbildungsplätzen.“ In der Tat: Meryems Uhr läuft.

„Sie hat gleich angefangen mit Vertrauen.“

Auch Nayfe weiß, dass sie um ihre Zukunft läuft. Sie will die MSA-Prüfung (Mittlerer Schulabschluss) machen: „Seit meinem 7. Lebensjahr will ich Rechtsanwältin werden!“ Illusion? Nein – vielmehr in ihrem Leben verankerte Vision. Eva, ihre Mentorin ist Spanierin und selbst Anwältin: „Ich habe mich gleich gut mir ihr verstanden“, sagt Nayfe. „Sie hat gleich angefangen mit Vertrauen. Und ich habe direkt gemerkt, ich kann ihr vertrauen. Ich habe ihr gesagt: Ich bin unpünktlich, sie soll viel Geduld haben, da ich keine Unterstützung von meinen Eltern bekomme. Sie war schon bei mir zu Hause, ich dreimal bei ihr.“

„So eine Note hatte ich in Physik noch gar nie!“

Die Mentorin hilft bei der Vorbereitung von Prüfungen, kürzlich bei einer Physikklausur: “Da ist eine Zweiplus herausgekommen, so eine Note hatte ich in Physik noch gar nie! Mathe und Deutsch sind meine Stärken.“ Nun geht es um die Vorbereitung der wichtigen Präsentationsprüfung. „Ich habe mir als Thema gewählt: Christliche und muslimische Hochzeitsbräuche. Wir arbeiten gemeinsam an der Gliederung.“ Eva hat ihr auch ein dreiwöchiges Praktikum in einer befreundeten Kanzlei vermittelt: „Sie war beim Vorstellungsgespräch mit dabei. Ja, das Mentorenprojekt unterstützt einen vollkommen“, sagt Nayfe geradezu euphorisch. Sie erweckt den Eindruck, dass sie die Kraft hat, um ihren Kindheitstraum zu verwirklichen. Die jüngste Rechtsanwältin der Republik kann sie schon nicht mehr werden. Aber wenn sie einmal für Recht und Gerechtigkeit streiten wird, dann wird sie Verständnis gerade für schwierige Lebenswege haben.

„Alleine hätte ich das nie geschafft!“

Melis, die dritte Interviewpartnerin, arbeitet auf einen einjährigen Auslandsaufenthalt hin; mit der Mentorin bereitet sie ihn derzeit vor: „Alleine hätte ich das nicht geschafft!“ Beruflich will sie später als Visagistin arbeiten. Ein Praktikum bei einer Kosmetikerin hat sie in ihrem Berufsziel nur noch bestärkt. Mit der Mentorin trifft sie sich regelmäßig, um die Schlussprüfung vorzubereiten und die Bewerbungsunterlagen zu erstellen: „Sie legt Wert darauf, dass ich pünktlich bin. Wir treffen uns im Café oder in der Bücherei und beginnen immer mit dem Austausch über den Tag.“ Und wenn es in der Schule einmal knirscht, dann ist Melis nicht allein: „Meine Mentorin setzt sich für mich in der Schule ein. Ich habe hier eine Chance. Ich muss sie gut ausnutzen.“

Nach sieben Stunden Schule: Unterstützungskurs in der Bürgerstiftung

Das Gespräch mit den drei Hauptschülerinnen fand kurz vor Ferienbeginn am Spätnachmittag statt. Ein siebenstündiger Schultag lag hinter ihnen, und dann waren sie zusammen mit sechs anderen Klassenkameraden auch noch zum Englisch-Unterstützungskurs in die Bürgerstiftung gekommen. Holidays scheinen erst mal nicht angesagt …

Inzwischen wollen alle mitmachen

Auch Martina Liebchen hat einen Schultag hinter sich. Sie ist Lehrerin der Drei. Sie engagiert sich für das Mentoren-Projekt: „Es ist wie ein Sog, inzwischen wollen alle mitmachen, fast meine ganze Abschlussklasse ist dabei.“ Im Gespräch wird deutlich, warum die Schule über diese N+Unterstützung im dritten Jahr so dankbar ist: „Viele unserer Hauptschüler müssen aufgefangen werden, und das kann die Schule nicht allein leisten. Wir schaffen es nicht, die Eltern an Bord zu holen, es gibt zwar Kontakte, aber die Eltern sind so mit ihren Dingen belastet, dass sie für die speziellen Probleme des Kindes oft gar keine Zeit haben. Die Schüler müssen sich entscheiden: Ich muss mich selbst um mein Leben kümmern. Und jetzt beginnen!“

Bilanz: Zensuren sind besser

Zieht man mit der Lehrerin Bilanz, so ist das Ergebnis der Mentorenarbeit zum einen handfest: „Die Zensuren sind besser, da gibt es einen eindeutigen Zusammenhang.“ Zum anderen aber übersteigt dieser Einsatz von Ehrenamtlichen alle Möglichkeiten der Quantifizierung. Martina Liebchen sieht den Gesamtzusammenhang so: „Mit den Kindern muss vor allem viel gesprochen werden, und die Mentoren sprechen mit ihnen ganz individuell. Dass das gelingt, sehe ich, denn ich bekomme ja mit, wie die Schüler stolz sind auf ihre Mentoren, es ist der Stolz, dass sie persönlich Jemanden haben. ‚Das ist meine Mentorin!‘, heißt es oft. Toll ist, dass die Mentoren Ehrgeiz entwickeln. ‚Meine Mentee schafft es!‘, heißt es da. Dadurch wächst in den Schülern ebenfalls Ehrgeiz. Und dass die Mentoren es ihnen zutrauen, ist eine gute Erfahrung – schon glauben sie an sich selbst. Ja, und dann das I-Tüpfelchen: Durch ihre Mentoren, die erfolgreich im Leben stehen, lernen sie, wie man selbst etwas aus dem Leben machen kann.“

„Das Beste, was mir in den letzten Jahren passiert ist“

Martina Liebchen ist keine Illusionistin, nach 25jähriger Tätigkeit weiß sie Bescheid. Ein Gutmensch aber ist sie geblieben. Zusammen mit dem gesamten Kollegium will sie den Schülern wirkliche Chancen mit ins Leben geben: „Ich bin so glücklich über dieses Projekt. Das Beste, was mir in den letzten Jahren passiert ist.“ Deshalb bangt auch sie um die finanzielle Absicherung des N+Projekts: „Unsere Schule braucht Netzwerke. Worauf können wir uns verlassen? Wir brauchen außerschulische Partner, und die müssen verlässlich sein.“